Zusammenfassung des Urteils IV 2011/264: Versicherungsgericht
Der Beschwerdeführer A. meldete sich aufgrund von Kniebeschwerden bei der IV-Stelle an und erhielt eine halbe und später eine ganze Invalidenrente zugesprochen. Sein Anwalt legte Beschwerde ein, da die Rentenberechnung fehlerhaft sei. Es wurde festgestellt, dass die Rentenskala korrekt angewendet wurde. Es entstand eine Diskussion über die Berücksichtigung der Beiträge der Ehefrau bei der Rentenberechnung. Der Beschwerdeführer behauptete, sich bereits früher in der Schweiz aufgehalten zu haben, was die Rentenberechnung beeinflussen würde. Das Gericht entschied, dass die früheren Ehezeiten ab Januar 1997 relevant seien und wies die Sache zur weiteren Abklärung zurück. Es wurde entschieden, dass der Beschwerdeführer die Gerichtskosten tragen muss.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | IV 2011/264 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | IV - Invalidenversicherung |
Datum: | 08.01.2013 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | EntscheidPräsidentin Lisbeth Mattle Frei, Versicherungsrichterinnen Gertrud Condamin-Voney und Marie Löhrer; Gerichtsschreiber Jorge Lopez |
Schlagwörter: | Schweiz; Rente; Recht; Wohnsitz; Person; Renten; Beitragsjahr; Beiträge; Beitragsjahre; IV-act; Beschwerdeführers; Invaliden; Jahrgang; Kantons; Hinweis; Rechtsvertreter; Personen; Erziehungsgutschrift; Verfügung; Gallen; Berechnung; Beitragszeiten; Ehegattin; Erziehungsgutschriften; Rentenskala |
Rechtsnorm: | Art. 1 AHVG ;Art. 23 ZGB ;Art. 24 ZGB ;Art. 29 AHVG ;Art. 3 AHVG ;Art. 38 AHVG ; |
Referenz BGE: | 113 II 7; 113 II 8; 120 III 8; 121 V 74; 129 V 169; 129 V 356; 129 V 4; 97 II 3; |
Kommentar: | Ueli Kieser, ATSG- 2. Aufl., Zürich, Art. 13 ATSG, 2009 |
in Sachen A. ,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Stefan Thalhammer, Schmiedgasse 28, Postfach 546, 9004 St. Gallen,
gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin, betreffend
Rente (Berechnung)
Sachverhalt:
A.
A. , verheiratet seit 12. Januar 1995 und Vater zweier Kinder (1999 und 2003), meldete sich am 7. November 2007 unter Hinweis auf seit einem Unfall vom
28. Oktober 2006 bestehende Kniebeschwerden rechts zum Leistungsbezug der Invalidenversicherung bei der IV-Stelle des Kantons St. Gallen an. Dabei gab er an, sich von Geburt an bis zur Einreise in die Schweiz am 11. September 2002 in B. aufgehalten zu haben (IV-act. 1/9-22).
B.
Nach Durchführung des Vorbescheidsverfahrens (IV-act. 20) beschloss die IV- Stelle des Kantons St. Gallen, dem Versicherten wegen der Unfallfolgen bei einem Invaliditätsgrad von 50% eine halbe Invalidenrente ab 1. Oktober 2007 und aufgrund einer zusätzlich aufgetretenen kardiologischen Erkrankung bei einem Invaliditätsgrad von 94% eine ganze Rente ab 1. Oktober 2009 zuzusprechen. Zwischen 1. September 2008 und 1. Dezember 2008 sei die Rente wegen Eingliederungsmassnahmen nicht auszurichten (IV-act. 24 f.).
Auf dieser Grundlage berechnete die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau im Auftrag der IV-Stelle die monatlichen Rentenleistungen (Kinderrenten eingeschlossen). Sie legte der Rentenleistung bei angerechneten Beitragszeiten von 5 Jahren und 2 Monaten die Teilrentenskala 15 zugrunde. Entsprechend verfügte die IV-Stelle am
9. August 2011 die Invaliden- und Zusatzrenten ab 1. Oktober 2007 (IV-act. 42 ff.). C.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde von Rechtsanwalt lic. iur.
S. Thalhammer, St. Gallen, vom 6. September 2011 mit dem Antrag, die Verfügungen vom 9. August 2011 seien aufzuheben und die Invalidenrenten seien neu zu berechnen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Zudem sei der Beschwerdeführer von allfälligen Gerichts- und Parteikosten zu befreien. Zur Begründung macht der Rechtsvertreter im Wesentlichen geltend, die Beschwerdegegnerin habe bei der Rentenberechnung die seit 1995 von der erwerbstätigen Ehegattin bezahlten Beiträge nicht mitberücksichtigt, die Erziehungsgutschriften des Beschwerdeführers ausser Acht gelassen und eine falsche Rentenskala angewendet (act. G 1).
In der Beschwerdeantwort vom 24. Oktober 2011 weist die Beschwerdegegnerin auf eine Stellungnahme des Amtes für AHV und IV des Kantons Thurgau vom 17. Oktober 2011 hin. Damit stellt sie sich auf den Standpunkt, die Berechnung der Rente sei in korrekter und gesetzeskonformer Weise erfolgt. Dem Beschwerdeführer könnten nach der Wohnsitznahme in der Schweiz, mithin frühestens ab 11. September 2002 Beitragszeiten der Ehegattin und Erziehungsgutschriften angerechnet werden. Ab
1. Januar 2003 habe er seine Beitragspflicht durch eigene Einkommen erfüllt; Erziehungsgutschriften seien ihm auch in den folgenden Jahren angerechnet worden. Zur Auffüllung von Beitragslücken seien vorliegend nur Beitragszeiten für eine Dauer von zehn Monaten vor dem Eintritt des Versicherungsfalles heranzuziehen. Es lägen ausschliesslich fünf volle Beitragsjahre vor, woraus sich die Anwendung der Teilrentenskala 15 ergebe (act. G 5).
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird mit Mitteilung vom 2. November 2011 vom Versicherungsgericht unter Hinweis darauf abgelehnt, dass die Bedürftigkeit nicht ausgewiesen erscheint (act. G 6).
Mit Replik vom 17. November 2011 bringt der Rechtvertreter des Beschwerdeführers vor, dieser habe sich bereits vom 28. Juni 1994 bis am
4. September 1998 in der Schweiz aufgehalten. Dies sei im Zusammenhang mit einem Asyl- und Wegweisungsverfahren gewesen. Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer mehrheitlich in der Schweiz gewohnt und die Betreuung der Kinder übernommen habe, sei die Berechnung der anrechenbaren Beitragsjahre entsprechend zu korrigieren (act. G 8).
Die Beschwerdegegnerin sowie das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau haben auf eine Duplik verzichtet (act. G 11 und 14).
D.
Auf die Begründungen in den einzelnen Rechtsschriften und den Inhalt der IV-Akten wird, soweit entscheidnotwendig, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Erwägungen:
1.
Angefochten sind drei Verfügungen vom 9. August 2011 (act. G 1/2-5), die aufgrund einer IV-Anmeldung vom 7. November 2007 ergangen sind (IV-act. 1/9-16). Der invaliditätsbegründende Sachverhalt entwickelte sich teilweise vor der auf anfangs 2008 in Kraft getretenen 5. Revision der Invalidenversicherung. Da sich die Definition der Invalidität und die damit zusammenhängenden Begriffe mit dieser Revision nicht geändert haben, werden diesbezüglich in diesem Urteil die seit dem 1. Januar 2008 gültigen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) wiedergegeben. Soweit die Ausführungen des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers keinen Verweis auf das frühere Recht der Alters- und
Hinterlassenenversicherung erforderlich machen (vgl. nachstehend Erw. 5), werden im Folgenden die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 20. Dezember 1946 (AHVG; SR 831.10) und der
Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 31. Oktober 1947 (AHVV; SR 831.101) in der aktuell geltenden Fassung zitiert.
2.
Streitgegenstand in diesem Beschwerdeverfahren bilden einzig die Berechnungsgrundlagen der dem Beschwerdeführer ab 1. Oktober 2007 zugesprochenen Invalidenrenten.
Für die Rentenberechnung sind gemäss Art. 36 Abs. 2 IVG die Bestimmungen des AHVG sinngemäss anwendbar. Die ordentlichen Renten der AHV und IV werden gemäss Art. 29 Abs. 2 AHVG ausgerichtet als Vollrenten für versicherte Personen mit vollständiger Beitragsdauer (lit. a) als Teilrenten für diejenigen mit unvollständiger Beitragsdauer (lit. b). Die Beitragsdauer ist vollständig, wenn eine Person gleich viele Beitragsjahre aufweist wie ihr Jahrgang (Art. 29ter Abs. 1 AHVG). Gemäss Art. 50 AHVV liegt ein volles Beitragsjahr vor, wenn eine Person insgesamt länger als elf Monate im Sinne von Art. 1a 2 AHVGversichert war und während dieser Zeit den Mindestbeitrag bezahlt hat Beitragszeiten im Sinne von Art. 29ter Abs. 2 lit. b und
c AHVG aufweist. Als Beitragsjahre gelten gemäss Art. 29ter Abs. 2 AHVG Zeiten, in
welchen eine Person Beiträge geleistet hat (lit. a), in welchen der Ehegatte gemäss
Art. 3 Abs. 3 mindestens den doppelten Mindestbeitrag entrichtet hat (lit. b) und für die Erziehungs- Betreuungsgutschriften angerechnet werden können (lit. c).
Bei der Berechnung der Renten werden Beitragsjahre, Erwerbseinkommen sowie
Erziehungs- Betreuungsgutschriften der rentenberechtigten Person zwischen dem
1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles (hier: Invalidität) berücksichtigt (Art. 36 Abs. 2 IVG i.V.m. Art.
29bis Abs. 1 AHVG). Beitragslücken können in engen Grenzen aufgefüllt werden. So
können gemäss Art. 52c erster Satz AHVV Beitragszeiten zwischen dem 31. Dezember vor dem Eintritt des Versicherungsfalles und der Entstehung des Rentenanspruchs herangezogen werden, wobei der Beitragsmonat, in welchem der Anspruch auf die Invalidenrente entsteht, voll mitgezählt wird (Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 431/03 vom 26. August 2003 E. 1 mit Hinweis und I 78/00 vom
14. Juni 2002 E. 3 mit Hinweisen). Anzumerken ist, dass die im erwähnten Zeitraum
erzielten Erwerbseinkommen bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt werden
(Art. 52c zweiter Satz AHVV).
Bei unvollständiger Beitragsdauer besteht Anspruch auf eine Teilrente, entsprechend dem gerundeten Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren der versicherten Person und denjenigen ihres Jahrgangs (BGE 121 V 74 E. 1; vgl. Art. 38 Abs. 1 und 2 AHVG). Art. 52 AHVV gibt dieses Verhältnis in Prozenten und die Zahl der anwendbaren Rentenskalen von 1 bis 44 an. Nur bei der Rentenskala 44 (Beitragsjahre/ Jahrgang = [ab] 97,73%) wird eine Vollrente gewährt. Innerhalb der gegebenen Rentenskala wird die Rente nach Massgabe des durchschnittlichen Jahreseinkommens berechnet. Dieses setzt sich aus den Erwerbseinkommen, den Erziehungsgutschriften und den Betreuungsgutschriften zusammen (Art. 29quater AHVG). Versicherten Personen wird für diejenigen Jahre eine Erziehungsgutschrift angerechnet, in welchen ihnen die elterliche Sorge für eines mehrere Kinder zusteht, die das 16. Altersjahr noch nicht erreicht haben (Art. 29 sexies Abs. 1 erster Satz AHVG).
3.
Vorliegend ist gemäss Art. 29bis Abs. 1 AHVG vom 31. Dezember 2006 retrospektiv ab 1. Januar 1992 (nach Vollendung des 20. Altersjahres) auf eine Anzahl von 15 beitragspflichtigen Jahren gemäss Jahrgang 1971 zurückzublicken. Das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau hält in einer Stellungnahme zur Beschwerde vom 28. September 2011 fest, dass der Beschwerdeführer ab dem Monat seines Zuzugs in die Schweiz (September 2002) versichert sei und ihm deshalb seither sowohl Beiträge der Ehegattin als auch Erziehungsgutschriften (zwei Kinder mit Jahrgang 1999 und 2003; vgl. IV-act. 1/9-16) angerechnet worden seien. Ab 1. Januar 2003 habe der Beschwerdeführer seine Beitragspflicht (teilweise) durch eigene Einkommen erfüllt und es seien ihm auch in den folgenden Jahren Erziehungsgutschriften angerechnet worden (IV-act. 52; vgl. IK-Auszug vom 22. November 2007, IV-act. 21, sowie IV-
act. 27/3). Wie aus der Analyse der Beiträge und den detaillierten Berechnungsgrundlagen der Ausgleichskasse hervorgeht (IV-act. 27/3 und 5), setzt sich die anrechenbare Beitragsdauer aus 4 Jahren persönliche Beiträge, 4 Monaten beitragslose Ehejahre sowie 10 Monaten im Rentenjahr zusammen. Insgesamt
resultieren daraus 5 Jahre und 2 Monate anzurechnende Beitragsjahre, die den angefochtenen Verfügungen zugrundegelegt werden.
Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wendet ein, selbst wenn bei 15 beitragspflichtigen Jahren des Jahrgangs die Anzahl von 5 Jahren und 2 Monaten angerechnet werde, ergebe sich ein Quotient von 34,44% (62 Monate im Verhältnis zu 180 Monaten des Jahrgangs), so dass dem Beschwerdeführer 36,36% der Vollrente gemäss Rentenskala 16 zustehe (act. G 1). Damit verkennt der Rechtsvertreter, dass gestützt auf Art. 38 Abs. 2 AHVG nach der Tabelle in Art. 52 AHVV ausschliesslich volle Beitragsjahre im Sinne von Art. 50 AHVV (mehr als elf Monate versichert mit anrechen baren Beitragszeiten) zählen, weshalb die 2 Monate nicht einzubeziehen sind. Bei 5 vollen Beitragsjahren bzw. 60 Monaten und 180 Monaten des Jahrgangs resultiert ein Quotient von 33,33%. Dieser liegt innerhalb der Bandbreite von 31,82 und 34,10, womit die Teilrente gemäss Art. 52 AHVV 34,09% der Vollrente beträgt. Die Festlegung der Rentenskala 15 durch die Beschwerdegegnerin erweist sich damit als korrekt.
4.
Des Weiteren macht der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers unter Beilage des IK-Auszuges der Ehegattin geltend, der Beschwerdeführer sei seit 12. Januar 1995 verheiratet und seine Ehegattin sei während der gesamten Ehe erwerbstätig gewesen, weshalb ihre Beiträge, soweit sie die doppelte Höhe des Mindestbeitrages übersteigen würden, gemäss Art. 3 Abs. 3 AHVG zu seinen Gunsten mit zu berücksichtigen seien (act. G 1).
Dem hält die Beschwerdegegnerin grundsätzlich zu Recht entgegen, bis zum Zeitpunkt der Wohnsitznahme in der Schweiz ab 11. September 2002 fehle dem Beschwerdeführer die notwendige Eigenschaft als Versicherter, weshalb die früheren Ehezeiten nicht berücksichtigt werden könnten (act. G 5).
Replicando bringt der Rechtsvertreter einen neuen Sachverhalt (vgl. IV- Anmeldung; IV-act. 1/11) vor, wonach sich der Beschwerdeführer bereits früher in der Schweiz aufgehalten haben soll. Am 28. Juni 1994 habe er in Kreuzlingen ein Asylgesuch gestellt, welches damals abgewiesen worden sei. Da er über keine
Reisepapiere verfügt habe, habe er die Schweiz nicht verlassen können. Auch eine kurze Ausschaffungshaft habe nicht dazu geführt, dass er effektiv ausgeschafft worden sei. Im März 1995 habe er sich immer noch in der Schweiz befunden und sei wegen eines Deliktes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft genommen worden. Bis am 4. September 1998 habe er sich in der Schweiz aufgehalten. Die Ausschaffung sei aufgrund der Kriegsgeschehnisse nach C. erfolgt (act. G 8).
5.
Zu prüfen ist, ob die Zeitspanne des behaupteten früheren Aufenthalts von 1994 bis 1998 überhaupt als anrechenbare Beitragsdauer zählen kann. Dabei stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer im Rahmen des geltend gemachten Aufenthaltes als versichert gelten kann.
Nach den allgemeinen Regeln des Übergangsrechts sind in zeitlicher Hinsicht - auch bei einer Änderung der gesetzlichen Grundlage - grundsätzlich diejenigen Rechtssätze relevant, die bei der Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhaltes in Geltung standen (BGE 129 V 4 E. 1.2; BGE 129 V 169 E. 1; BGE 129 V 356 E. 1, je mit Hinweisen). Vorliegend soll der Beschwerdeführer am 28. Juni 1994 als Asylbewerber in die Schweiz eingereist und am 4. September 1998 weggewiesen worden sein. Am 12. Januar 1995 heiratete er eine Schweizer Bürgerin (IV-act. 23). Dass er damals infolge der Eheschliessung eine Aufenthaltsbewilligung erhalten hätte, ist nicht aktenkundig und wird im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht. Deshalb ist seine damalige Rechtsstellung als Asylsuchender bzw. abgewiesener Asylsuchender nach altem Recht für die Frage der Versicherteneigenschaft massgebend. Dabei ist die Rechtslage vor und nach dem 1. Januar 1997 zu unterscheiden. Anknüpfungspunkt ist der gesetzliche Wohnsitz der asylsuchenden Person.
Das Bundesgericht hielt bereits in einem Leiturteil vom 28. Januar 1987 betreffend Verweigerung einer Heiratsbewilligung fest, die Frage, ob eine asylsuchende Person Wohnsitz in der Schweiz hat, sei gemäss den Art. 23 ff. ZGB zu bestimmen (BGE 113 II 7 f. E. 2). Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (Art. 23 Abs. 1 ZGB) und den sie sich zum
Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat (BGE 120 III 8 E. 2a; BGE 97 II 3 E. 3). Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes (Art. 24 Abs. 1 ZGB). Ist ein früher im Ausland begründeter Wohnsitz aufgegeben und in der Schweiz kein neuer begründet worden, so gilt der Aufenthaltsort als (fiktiver) Wohnsitz (Art. 24 Abs. 2 ZGB).
Im Bereich des Sozialversicherungsrechts knüpfte aArt. 1 Abs. 1 lit. a AHVG (in der am 1. Januar 1995 geltenden Fassung) auch an den zivilrechtlichen Wohnsitz an. Danach waren die natürlichen Personen mit zivilrechtlichem Wohnsitz in der Schweiz obligatorisch versichert. Sie waren gemäss Regelung auf derselben Gesetzesebene (aArt. 1 Abs. 2 lit. c AHVG) jedoch nicht versichert, wenn sie - im hier relevanten Fall - die Voraussetzung eines zivilrechtlichen Wohnsitzes nur "für eine verhältnismässig kurze Zeit" erfüllten. Als verhältnismässig kurz wohnhaft galten zum einen die im Asylverfahren vorläufig aufgenommenen Personen, wenn sie keine Erwerbstätigkeit ausgeübt hatten (aArt. 2 Abs. 1 lit. e AHVV in der bis 1. Januar 1997 geltenden Fassung), und zum anderen die abgewiesenen nichterwerbstätigen Asylsuchenden, wenn sie die Schweiz verliessen (Kreisschreiben über Versicherungspflicht 1995/1996 Rz 3042). Die Frage, ob letztere verwaltungsrechtliche Weisung gesetzmässig war,
kann hier offen gelassen werden, weil der Beschwerdeführer keine eigenen Beiträge für jene Jahre geltend macht, sondern die Beiträge der Ehefrau, die höchstens - wie in nachstehender Erwägung 5.6 ausgeführt wird - ab Januar 1997 berücksichtigt werden können.
Am 1. Januar 1997 trat die 10. AHV-Revision in Kraft. Nach dem damit eingeführten Wortlaut von aArt. 1 Abs. 1 lit. a AHVG waren die natürlichen Personen mit Wohnsitz in der Schweiz versichert. Dass es sich um den zivilrechtlichen Wohnsitz handelt, wurde darin nicht mehr ausdrücklich erwähnt, blieb aber unbestritten. Unverändert wurden die verhältnismässig nur kurz in der Schweiz wohnhaften Personen wie bisher aus der Versicherteneigenschaft ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang wurde die Rechtsstellung von Asylsuchenden in aArt. 2 Abs. 2 AHVV (in der vom 1. Januar 1997 bis 1. Januar 2007 geltenden Fassung) nun geregelt. Demgemäss galten Asylsuchende ohne Erwerbstätigkeit in den ersten sechs Monaten nach Einreichung ihres Asylgesuchs als nicht versichert, es sei denn, sie wurden nachträglich als Flüchtlinge anerkannt. Anders formuliert: abgewiesene
nichterwerbstätige Asylsuchende wurden erst nach Ablauf von sechs Monaten ihrer Anwesenheit in der Schweiz versichert. Die Länge der Nichtunterstellung wurde unter Berücksichtigung der angeblich durchschnittlichen Dauer des Asylverfahrens festgelegt (Ueli Kieser, Alters- und Hinterlassenenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. XIV Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, N 66, mit Hinweis auf AHI-Praxis 1996, S. 269). Die Frage, ob Art. aArt. 2 Abs. 2 AHVV mit aArt.
1 Abs. 1 lit. a AHVG zu vereinbaren sei (Kieser, SVR, a.a.O., N 66, Fn 228), erübrigt sich hier, weil der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 10. AHV-
Revision am 1. Januar 1997 nach seiner Darstellung seit mehr als sechs Monaten in der
Schweiz anwesend gewesen sei.
Eine Person, welche ein Asylgesuch eingereicht hat und nicht sofort weggewiesen wurde, kann sich mit der Absicht dauernden Verbleibens in der Schweiz aufhalten. Soweit ihre Anwesenheit nicht vorübergehend rein zufällig, sondern von einer ge wissen Dauer gekennzeichnet ist, begründet sie einen schweizerischen Wohnsitz gestützt auf Art. 23 ZGB (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009, Art. 13 N 9). Das Eidgenössische Versicherungsgericht beurteilte in einem Entscheid vom 23. Dezember 1999 die Lage einer asylsuchenden Person im Lichte von aArt. 1 Abs. 1 AHVG. Sie befinde sich zwar in einer provisorischen Situation, zumal sie mit einem negativen Asylentscheid und der Wegweisung aus der Schweiz rechnen müsse. Dies ändere aber nichts daran, dass sie den Wohnsitz im Heimatland aufge geben und die Schweiz zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht habe (SVR 2000 IV Nr. 14
E. 3d; BGE 113 II 7 f.). Geht sie eine Ehe ein und wohnt mit ihrem Ehegatten an einer Privatadresse, so verfestigt sich - unabhängig vom Stand und den Chancen des Asylverfahrens - ihre Rechtsstellung im Sinn eines realen Wohnsitzes in der Schweiz (Brückner, Das Personenrecht des ZGB, Zürich 2000, N 369). Hält sich die asyl suchende Person mit schweizerischem Wohnsitz nach Abweisung ihres Asylbegehrens weiter in der Schweiz auf, so bleibt ihr Schweizer Wohnsitz bis zur effektiven Ausreise bestehen, da dieser nicht von behördlichen Aufenthaltsgenehmigungen abhängt (BGE 113 II 8; Basler Kommentar-ZGB I/Staehelin, Art. 23 N 19 mit Hinweisen, 4. Aufl., Basel
2010).
Im zu beurteilenden Fall ist nicht ersichtlich, wann das Asylgesuch des
Beschwerdeführers abgelehnt wurde. Aktenkundig ist nur seine Heirat in der Schweiz
am 12. Januar 1995. Würde es ihm gelingen, die vorgebrachte Anwesenheit vom
28. Juni 1994 bis 4. September 1998 zu beweisen, könnten Ehezeiten für die Zeitspanne ab Januar 1997 berücksichtigt werden. Letzteres, weil sich der Beschwerdeführer bezüglich Beitragsjahre aufgrund der am 12. Januar 1995 geschlossenen Ehe auf die Beiträge der erwerbstätigen Ehefrau beruft. Die Bestimmung mit dem aktuell geltenden Inhalt von Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG, wonach die eigenen Beiträge des nichterwerbstätigen Ehegatten von erwerbstätigen Versicherten als bezahlt gelten, sofern der erwerbstätige Ehegatte Beiträge von mindestens der doppelten Höhe des Mindestbeitrages bezahlt hat, wurde erst mit der 10. AHV- Revision eingeführt, die am 1. Januar 1997 in Kraft trat. Vor diesem Zeitpunkt bestand die Möglichkeit einer Befreiung der Beitragspflicht nur zugunsten der nichterwerbstätigen Ehefrauen (aArt. 3 Abs. 2 lit. b AHVG in der bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung). Dies entsprach der damals verankerten Vorstellung über die Rolle des Mannes als berufstätiger Familienversorger und der Frau als Haushälterin und Mutter. Für eine rückwirkende Anwendung vom seit Januar 1997 geltenden Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG (Berücksichtigung der Beiträge der erwerbstätigen Ehegattin) besteht kein Anhaltspunkt in den Übergangsbestimmungen. Die Beiträge der Ehefrau kommen daher dem Beschwerdeführer frühestens ab Januar 1997 zugute.
Gestützt darauf sind die früheren Ehezeiten vom Januar 1997 bis 4. September 1998 (ein Jahr und neun Monaten) von Bedeutung. Soweit diese Ehezeiten nachgewiesen werden, sind sie mit den von der Beschwerdegegnerin berücksichtigten 5 vollen Beitragsjahren und 2 Monaten zusammenzurechnen. Der vom Rechtsvertreter nachträglich mit der Replik vorgebrachte frühere Aufenthalt des Beschwerdeführers hätte somit eine Auswirkung auf die anwendbare Rentenskala. Er reichte zwar keine diesbezüglichen Beweise ein, seine Angaben sind jedoch überprüfbar. Deshalb ist die Sache zu ergänzenden Abklärungen in Bezug auf den Wohnsitz des Beschwerdeführers in der geltend gemachten Zeitspanne vom 28. Juni 1994 bis am
4. September 1998 an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Sie wird daraufhin neu zu verfügen haben. Für die Rentenberechnung ist der asylrechtliche Aspekt vorfrageweise zu klären. Es genügt aber nicht, dass der Ablauf eines Asyl- bzw. Wegweisungsverfahrens nachgewiesen wird. Zu prüfen ist ebenfalls, ob sich der Beschwerdeführer bis zum geltend gemachten relevanten Zeitpunkt bei der Ehefrau in der Schweiz ununterbrochen aufgehalten hat. Massgebend sind die Jahre 1997 und
1998. Der Beschwerdeführer ist zur Mitwirkung bei der Abklärung des Sachverhalts verpflichtet und trägt die Folge einer allfälligen Beweislosigkeit.
6.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde sind die angefochtenen Verfügungen vom 9. August 2011 aufzuheben. Die Sache ist zur ergänzenden Abklärung und zu neuer Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückzu weisen.
Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Ver
fahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von Fr. 200.-- bis
Fr. 1'000.-- festgelegt (Art. 69 Abs. 1bis IVG). Eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-- erscheint in der vorliegend zu beurteilenden Angelegenheit als angemessen. Der unter liegenden Beschwerdegegnerin wären die Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 600.-- aufzuerlegen. Es ist aber an dieser Stelle festzuhalten, dass der Beschwerdeführer anlässlich der IV-Anmeldung vom 7. November 2007 einen ununterbrochenen Wohnsitz in B. von Geburt an bis zum Einreisedatum in die Schweiz am
11. September 2002 angab (IV-act. 1/11), weshalb die Beschwerdegegnerin zu Recht erst ab 2002 Beitragsjahre anrechnete. Dabei liegt keine Verletzung der Abklärungspflicht vor. Infolgedessen sind keine Gerichtskosten zulasten der Beschwerdegegnerin zu erheben. Da das Beschwerdeverfahren auf eine unvollständige Auskunft des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren zurückzuführen ist, die erst mit der Replik ergänzt wurde, hat er die Gerichtskosten zu tragen. Der am 6. Dezember 2011 vom Beschwerdeführer geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.-- ist ihm daran anzurechnen. Aufgrund des nachträglichen Vorbringens hat er ebenfalls keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.
Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP entschieden:
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde werden die angefochtenen Verfügungen vom 9. August 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur ergänzenden Abklärung und zu neuer Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer bezahlt eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.--. Der von ihm
geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.-- wird ihm daran angerechnet.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
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